Aus der Geschichte von Plagwitz
Ulrich Krüger, Bernd RüdigerEin Dorf
westlich Leipzigs.
Plagwitz, an keinem auch nur örtlich bedeutenden Verkehrsweg gelegen, hat
jahrhundertelang, nahezu bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als ein abgeschiedenes
kleines Bauernhöfchen existiert. Obwohl lediglich 2 Kilometer vom Stadtzentrum
entfernt, war es von Leipzig nur auf einem Umweg zu erreichen, weil zwischen
Dorf und Stadt die Weitausgedehnte Auenlandschaft des Elsterflusses lag, der
fast regelmäßig zweimal im Jahr über die Ufer trat und große Gebiete
überschwemmte. Nach Plagwitz gelangte man über den Rangerstädter Steinweg und
die Frankfurter Kunststraße (heute Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee), die man beim
Kuhturm (kurz vor Lindenau gelegen) verließ, um nach Südosten im Dorf bei der
heutigen Alten Straße anzukommen.
Nicht nur auf dem
Weg nach Plagwitz, sondern auch die Topographie des Dorfes war von der Elster
bestimmt, die im wesentlichen auch heute noch ihren alten Verlauf nimmt: Die
Ansiedlung entstand in Flussnähe auf ansteigendem und damit hochwassersicherem
Gelände, das schon früh Anreize für Ansiedlung bot. Der Auwald bot Schutz und
Unterschlupf bei Gefahren, gab Wild und Früchte, Bau- und Brennholz, war
zugleich Rodeland. In der breiten Aue hatte die Elster in einer 1,5 – 3 Meter
mächtigen Schicht braunen fetten Aulehm abgesetzt, einen einkörnigen, lockeren
und humusreichen Flussschlick von hoher Fruchtbarkeit, der bei der
ursprünglichen Feuchte üppiges Weideland bot und in trockneren Lagen auch bei
Ackerbau mit einfachsten Werkzeugen ausreichende Erträge brachte. Die Bodendecke
der Hochfläche dagegen schwerer zu bearbeiten: Sie besteht aus einer bindigen,
tonigen oder sandigkiesigen, mit Gesteinsbrocken durchsetzten Masse, dem
Geschiebelehm, der wenig luft- und wasserdurchlässig, >>kalt<< ist. Der Lehm
dient schon bald als Baumaterial.
Archäologische Funde belegen die frühe Besiedlung des Elsterrandes mit
germanischer Bevölkerung; auch die Flussnamen Elster und Luppe sind germanischen
Ursprung. Während der Völkerwanderungszeit räumten jedoch die Germanen das
Elstergebiet, und nach und nach wanderten Trupps slawischer Bauernkrieger aus
Böhmen ein – heute mit dem Sammelnamen Altsorben bezeichnet -, die hier sesshaft
wurden und etwa im Laufe des 8. Jahrhunderts den Elsterrand dicht besiedelten.
In dieser Zeit mag auch die Ansiedlung Plagwitz entstanden sein. Der Name deutet
auf den Ackerbau, denn Plagwitz wird vom altsorbischen placht (=abgeteiltes
Feld) hergeleitet und kleine blockförmige Parzellen bildeten generell die Form,
in der die Altsorben Rodungsland anlegten. Der Übergang vom Umherstreifen zum
Sesshaftwerden bedeutete geradezu eine Umwälzung aller Lebensgewohnheiten der
Gruppe wie des Einzelnen, brachte eine völlig andere Art und Weise der
Beschaffung der Nahrungsmittel mit sich und prägte neue geistige Vorstellungen.
Mit der Sesshaftigkeit begann auch die z.T. bis heute erkennbare
kulturlandschaftliche Gestaltung des Raumes an der Elster und Luppe. Leider
existieren archäologische Zeugbisse aus dieser Zeit für Plagwitz nicht. Doch
wird die Siedlung die damals übliche altsorbische Form des Rundlings mit
vielleicht 6 bis 10 einfachen Gehöften um einen Dorfplatz mit dem
lebensnotwendigen Teich besessen haben. Der Rundling bildete eine zweckmäßige
Siedlungsform, denn er bot den Menschen und dem Vieh einen gewissen Schutz. Es
ist anzunehmen, dass der Dorfplatz an der Stelle des späteren Plagwitzer
Rathausplatzes lag. Der Dorfteich könnte sich am Rande des Platzes, etwa bei dem
späteren Postgebäude, befunden haben. Ackerbau wurde extensiv als
Feld-Gras-Wechselwirtschaft betrieben. Felder waren gerodete Waldstücke. War der
Boden erschöpft, wurden weitere Waldstücke gerodet und die Brache wuchs wieder
zum Wald zurück. Die bei dieser Art der Bodennutzung zu erzielende Erträge
werden kaum mehr als eine Ergänzung zur Ernährung von Wild, Fischen und
Waldfrüchten hergegeben haben.
Im 11.
Jahrhundert erweiterten deutsche Bauern das altsorbische Dorf mit einer
gassenartigen Siedlung an der alten Straße. Das geschah im Zuge des
>>Landesausbaues<<, einer groß angelegten deutschen Erschließung des slawischen
Landes östlich von Elbe und Saale, nachdem es unter Heinrich I., von 919 bis 936
deutscher König, dem Reich eingegliedert worden war. Den Aufrufen deutscher
Herren folgend, siedelten sich hier Bauern aus dem Altsiedlungsland des Reiches
an. Für die Herren bedeutete die stärkere Besiedelung und umfassende Nutzung des
Bodens die Vergrößerung ihrer Einnahmen und ihrer Herrschaft. Die Neusiedler
sahen hier günstigere wirtschaftliche Möglichkeiten sowie eine bessere soziale
und rechtliche Stellung als in ihrer Heimat. Das Dorf Plagwitz gewann von dem
landwirtschaftlichen Aufschwung, den die deutschen Bauern mit dem eisernen Pflug
und entwickelteren Ackerbaumethoden betrachten. Beispielsweise wurden die
westlich des Dorfes gelegene Hochebene, deren schwerer Boden mit dem
altsorbischen Holzpflug nicht zu bearbeiten war, für den Ackerbau erschlossen.
Außerdem wurde zur ertragreichen Dreifelderwirtschaft übergangen. In dieser Zeit
müssen auch erste Regulierungen vom Elsterarmen nahe Plagwitz begonnen haben,
die wegen des Betriebes von Wassermühlen bei Leipzig notwendig wurden.
Zur strategischen
Sicherung des eroberten Landes wurden zahlreiche Burgen angelegt, so in Leipzig.
Deutsche Adlige als Träger der Herrschaft wurden mit Dörfern belehnt, zugleich
wurden die Dorfmarken abgegrenzt. Das Dorf Plagwitz wurde den Herren von
Kleinzschocher zugeteilt, denen die Plagwitzer Bauern dienst- und
abgabepflichtig wurden. Im 12. Jahrhundert bauten die deutschen Siedler in
zahlreichen Dörfern Kirchen. Als 1150 in Kleinzschocher eine Kirche entstand,
wurden auch die Plagwitzer nach Kleinzschocher gepfarrt. Plagwitz, das 1486
erstmals urkundlich erwähnt wurde, ist lange Zeit ein kleines Dorf geblieben.
1562 zählte man 14 vollberechtigte Männer, d.h. Hufenbesitzer, und einen
Häusler, Eigentümer einer Kate ohne Grundbesitz. Plagwitz besaß demnach damals
15 Gehöfte und zählte die Familienangehörigen eingeschlossen, etwa 75 Einwohner.
Während des Dreißigjährigen Krieges wurde das Dorf geplündert und abgebrannt
(1637). Doch es erstand wieder, nunmehr meist mit Mehrseithöfen in
Fachwerkbauweise nach fränkischer Art. Mehr als 100 Jahre nach seiner
Zerstörung, 1764, lebte in Plagwitz 12 Hufenbesitzer und 7 Häusler. Man wird
folglich für diese Zeit von 19 Gehöften und etwa 95 Bewohnern ausgehen dürfen.
Allmählich machte sich der Einfluss des wachsenden Leipzig bemerkbar: Das
idyllische Plagwitz wurde als Ausflugsziel der Städter entdeckt. Das Dorf und
seine Schenken konnten von Leipzig aus mit Booten erreicht werden. 1821
beschreibt ein Bericht Plagwitz wie folgt:
>> Der Ort liegt
recht angenehm mitten in der Elsteraue, eine dreiviertel Stunde südwestlich von
Leipzig, dem Schleußiger Holze gegenüber ... und in einer äußerst milden Lage.
Die Luppe fließt hinter dem Dorfe weg auf Lindenau zu. Es hat 26 Häuser, meist
Häuslerstellen, gegen 150 Einwohner, worunter die meisten Tagelöhnerei und
Markthelfearbeit in Leipzig treiben, 49 Acker guten Feldes ..., sehr viel
Wieden, gute und nutzbare Viehzucht, und eigene Landhäuser und Gärten von
Leipziger Particuliers [wohlhabenden Privatleuten] ... << Es gab nun auch einen
direkten, allerdings nicht ständig befahrenen Weg zwischen Plagwitz und der
Stadt: >> Sehr angenehm ist der Fußpfad, welcher über die Luppe durch üppige
Wiesen nach Leipzig führt. << Im Winter 1827 fanden auch Schlittschuh- und
Schlittenfahrten auf der Elster bis Schleußig statt.
Die 1830er Jahre brachten bedeutsame Veränderungen. Das sächsische Gesetz über
Ablösungen und Gemeinheitsteilungen (1832) förderte die Ablösung der
mittelalterlich-feudalen Strukturen. Der Boden wurde gegen Zahlung von
Ablösesummen der Bauern deren frei verfügbares Eigentum. An die Stelle der
Dreifelderwirtschaft trat mehr und mehr die rationellere
Fruchtwechselwirtschaft. Mit der Einführung der sächsischen Gemeindeordnung
wurde erstmals ein Stückchen gemeindlicher Selbstverwaltung möglich. Erstmals
1840 übernahm ein Gemeinderat die Verwaltung von Plagwitz und förderte die
Entwicklung des Ortes nach Kräften.
Plagwitz wird Industriedorf
Das Dorf Plagwitz änderte sein Gesicht, als sich Gewerbe und Fabriken
ansiedelten. Plagwitz bildete zwar nicht den frühsten Fabrikstandort in Leipzigs
Nähe, aber seit den 1860er Jahren wurde es der Leipziger Industriestandort mit
dem deutlichsten Wachstumstempo. Als seit den 130er Jahren das Leipziger
Handelskapital nach Plätzen für Gewerbe- und Fabriksiedlung suchte, für die in
der Stadt selbst kein Gelände zur Verfügung stand, erhielt zunächst der
stadtnahe Raum an den in schneller Folge gebaute Eisenbahnstrecken und Bahnhöfe
im Norden und Osten den Vorzug. Das ländliche Plagwitzer Idyll blieb damals noch
unberührt, der (alte) >>Felsenkeller<< auf der Anhöhe an der heutigen
Zschocherschen Straße wurde zum beliebten Ausflugsziel der Städter, die
Landwirtschaft war nach wie vor bestimmender Wirtschaftszweig und der Ort
bewahrte den überkommenden Charakter als Gassendorf. Dem jungen Leipziger
Rechtsanwalt Dr. jur. Heine gebührt der Verdienst, nicht nur schlechthin die
Notwendigkeit einer industriellern Entwicklung für das weitere Wachstum der
alten Handelsstadt Leipzig erkannt, sondern zugleich die unabdingbaren
Vorraussetzungen dafür gesehen zu haben. Er wurde zum Wegbereiter der
Industriesiedlung in Plagwitz, die zugleich das Dorf zu einem Ort mit
sächsischem Charakter wandelte, der schließlich Stadtteil Leipzigs wurde.
Ernst Carl Erdmann Heine, so sein vollständiger Name, war am 10. Januar 1819 in
einer Gutsituierten Familie zur Welt gekommen. Sein Vater bewirtschaftete das
Rittergut Gundorf bei Leipzig und seine Mutter, eine geborene Reichel,
entstammte einer bedeutenden Kaufmannsfamilie. Neben den juristischen
Vorlesungen beschäftigte sich der Student Heine mit Staats- und
Volkswirtschaftslehren, mit Mathematik und praktischem Feldmessen, denn er
verfolgte den Gedanken, am Westrand der Stadt, jenseits des Pleißemühlgrabens,
aus großteils sumpfigen Wiesen und Gärten im Überschwemmungsgebiet, wo die
Familie Grundbesitz hatte, Bauland zu schaffen. Das bedeutende
Flussregulierungen und andere Baumaßnahmen, folglich auch Rechtsfragen, und so
wählte der Student für seine juristische Dokterarbeit, die er – damals üblich –
in latein schrieb, das Thema: De prinzipiis juris in usu fluviorum adhibent (>>
Rechtsgrundlagen für die Nutzung von Flussläufen <<). Karl Heine promovierte
1843.
25 Jahre alt und
alles andere als zaghaft, so trat Karl Heine mit seinen Plänen zur Ereschließung
von Bauland in das Wirtschaftsleben ein. Da die Grundstücksnachbarn sich für
sein Vorhaben nicht erwärmen konnten, kaufte er deren Land, ließ 1844 die Pleiße
gegenüber der Pleißenburg überbrücken und begann von hier aus die heutige
Friedrich-Ebert-Straße zu bauen. In dem durch Trockenlegung und Aufschüttungen
erschlossenen Gebiet zwischen dieser und der Lessingstraße war Heine teils
Bauherr, teils Grundstücksverkäufer, und mit ihm als Geburtshelfer entstand hier
in kurzer Zeit Leipzigs Westvorstadt, ein gesunder Stadtteil, denn die
Beseitigung der Sümpfe hatte die Malaria, die bis dahin in Leipzig regelmäßig
auftrat, ausgerottet.
Mit 35 Jahren
begann Heine das zukunftgestaltende Vorhaben, das sein Lebenswerk wurde – die
Erschließung des westlichen Vorlandes jenseits der Aue für Industrieansiedlung
und Wohnungsbau. Der ein bis zwei Kilometer breite Auestreifen – sumpfig,
wasserreich, oft überschwemmt – hinderte die Stadt daran, sich nach Westen zu
erweitern und versagte den Landstrichen jenseits der Aue, an der
wirtschaftlichen Entwicklung des Stadtumlandes teilzunehmen.
Heine erkannte bereits zu jener Zeit ein Bündel von Vorzügen, die das Gelände
westlich der Altstadt im Raum Plagwitz / Lindenau aufwies. Das, war anderen als
Standortnachteil erschien, stellte sich für ihn als außerordentliche
Siedlungsgunst dar: große Flurstücke zur planmäßigen Ansiedlung von Gewerbe und
Wohnstätten sowie der Elsterfluss als Brauchwasserreservoir, vor allem aber als
Wasserstraße zum An- und Abtransport von Rohmaterialien, Brennstoffen und
Fertigungsprodukten.
Trotzdem standen der eigentlichen Planung noch diverse Aufgaben und Probleme
bevor. Die Elster musste reguliert, Sümpfe trockengelegt, Tümpel und Gräben
aufgefüllt, Straßen, Wege und Brücken gebaut werden.
Das 1850 von der Stadt Leipzig aufgestellte Regulierungs- und
Hochwasserschutzprogramm befriedigte Heine nicht. Er nahm 1856 den Wasser- ,
Wege- und Brückenbau selbst in Angriff, nachdem er einige Jahre zuvor begonnen
hatte, Wiesen und Äcker auf den Plagwitzer Fluren zu erwerben. Für das Dörfchen
Plagwitz mit seinen einfachen Holz- und Lehmkaten war es ein Ereignis, dass
Heine dort 1856 ein Haus nur aus Bruch- und Ziegelsteinen bauen ließ, ein
Gebäude ohne Holz, das >>Steinerne Haus<< (heute Buchhandlung Grümmer).
Für die Bauerschließung erlangte der Kanalbau zentrale Bedeutung. Mit den
Ausschachtungen wurden die Erd- und Gesteinsmassen gewonnen, die für
Aufschüttungen und Straßenbau erforderlich waren.
Beim Durchstrich des Höhenrückens bei Plagwitz bereitete die Grauwacke, ein
festes Sedimentgestein, in dem Teile von Quarz, Glimmer, Feldspat und Schiefer
verbunden sind, besondere Schwierigkeiten; diese >>Heine-Knack<< war jedoch
gerade für den Wegbau von besonderem Wert. Der Kanalbau entschärfte zugleich das
Transportproblem, denn auf der Elster, die Heine zwischen der Stadt und Plagwitz
schiffbar gemacht hatte, sowie auf dem fertig gestellten Kanalteil ließ er
Schlepper und Kähne verkehren.
Der Kanal begann an der kleinen Luppe (in Höhe der heutigen Nonnenstraße),
durchschnitt die Leipziger Allee und führte, mit Benutzung alter Lehmlachen,
durch die Wiesen zwischen Nonnen- und Alter Straße. Diesen Teil ließ Heine
jedoch wieder zuschütten und im gleichen Jahre weiter südlich, in der Nähe der
heutigen Industriestraße, neu anlegen. 1862 fuhren bereits 16 Schiffe, um
Ziegelsteine, Kohle, aber auch Heu und sonntags auch Personen zwischen Leipzig
und Plagwitz zu befördern. Allerdings stellte dies keineswegs die von Heine
angestrebte endgültige Nutzung des Kanals dar. Sein Ziel war es, mit dem Kanal
Elster und Alster, Leipzig mit Hamburg zu verbinden, um so der Industrie einen
günstigen Zugang zum Weltverkehr zu schaffen.
Um die
Fabrikansiedlung in Plagwitz zu fördern, betrieb Heine 1859 mit Nachdruck die
Herstellung einer ganzjährigen benutzbaren, nicht durch Überschwemmungen immer
wieder unterbrochenen Wegeverbindung mit Leipzig. Heine ließ in Plagwitz eine
Straße vom Felsenkeller bis an die Elster anlegen, die heutige
Karl-Heine-Straße, und über die Elster eine Holzbrücke bauen. Von der Stadt aus
war in Richtung Plagwitz ebenfalls eine Straße gebaut worden; aber eine
durchgehende Verbindung konnte nicht erreicht werden, weil die Stadtbehörden
nicht genehmigten, ein Stückchen des Waldes zu queren. Heine ließ dennoch in
eine Blitzaktion 1859 einen Weg durch das Wäldchen schlagen, bezahlte die dafür
verhängte Buße, hatte aber eine Verbindung zur Stadt geschaffen und zudem zur
Popularität gewonnen, denen viel gefiel, dass der Stadtverwaltung mit der
Schneise auch ein Schnippchen geschlagen worden war. Nachdem diese
Wegeverbindung hergestellt war, wurde sie, weil wirtschaftlich unumgänglich,
bald zu einer Fahrstraße ausgebaut mit einer Steinbrücke über die Elster, womit
die heutige Käthe-Kollwitz-Straße entstand.
Bald begann die
Ansiedlung von Gewerbetreibenden, wie sie auf dem Lande nicht untypisch waren.
1856 entstand ein Sägewerk, 1858 / 59 eine technisch moderne Ziegelei, deren es
1860 bereits zwei – nordwestliche des Ortes und im Süden hinter dem Kanal – gab
und die für die Aufbauarbeit außerordentlich wichtig waren. In der Nähe des
Kanals, an der heutigen Zschocherschen / Ecke Eduardstraße, gegründete Heine
1858 eine >> Ökonomie <<, einen landwirtschaftlichen Musterhof. 1861 veranlasste
er die Verlegung der >> Landwirtschaftlichen Lehranstalt << von Lützschena nach
Plagwitz. Heine stellte ihr einen Teil seiner Besitzungen zu Studienzwecken zur
Verfügung.
Vor allem warb Heine jedoch für Industrieansiedlungen in Plagwitz. Rechtzeitig –
als Konzessionen für die Gründung der Fabriken und Aktiengesellschaften vom
Staat großzügiger erteilet wurden und mit der Einführung der Gewerbefreiheit
(1861) die Zunftschranken fielen – war das Land erschlossen und Heine konnte
ausreichend große Grundstücke zur Verfügung stellen. Das erste Fabrikgebiet in
Plagwitz schuf er längs der Nonnenstraße und des Elsterufers. 1857 beantrage
Karl Heine die Genehmigung zur Aufstellung von Dampfkesseln und Dampfmaschinen
für eine dort zu errichtende mechanische Teppichweberei. In dieser Fabrik begann
ab 1869 die Fa. Mey & Edlich ihren Aufstieg zu einer Weltbekannten Wäschefabrik
und einem florierenden Versandhaus. Weiter fanden hier eine chemische Fabrik,
die sich zu einer Maschinen- und Apparatebaufabrik entwickelte, sowie eine
Gummiwarenfabrik, eine Maschinenbauwerkstatt, eine Nähmaschinenfabrik, eine
Farbenfabrik und andere Unternehmen sowie Wohnhäuser ihre Plätze. Hier wuchs
seit 1875 auch die Sächsische Wollgarnfabrik zu einem Großbetrieb, der nach und
nach ein ausgedehntes Areal auf beiden Elsterstufen bebaute.
Unweit der Nonnenstraße, in der Alten Straße, hatte Rudolf Sack 1863 die
Heerstellung landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen aufgenommen. Karl Heine
hatte Rudolf Sack dafür gewonnen, seine Landwirtschaft in Löben und die
handwerkliche Kleinherstellung von Geräten in der Dorfschmiede Peissen
aufzugeben und in Plagwitz fabrikmäßig zu produzieren. Heines Rat erwies sich
als richtig. Sack, der zunächst in gemieteten Räumen der kleinen Eisengießerei
und Maschinenfabrik Kaspar Dambacher arbeitete, konnte knapp fünf Jahre später
ein eigenes großes Grundstück an der Kanalstraße – schon auf dem zweiten von
Heine erschlossenen Industrieareal – erwerben und dort das schnell expandierende
Unternehmen für landwirtschaftliche Maschinen aufbauen.
Heines
Erschließungsarbeiten im Auegebiet wurden von landesrechtlichen Vorschriften
behindert, die er als überlebte, feudal-bürokratische Schranken gegen eine freie
Konkurrenz bei wirtschaftlichen Unternehmungen ansah. In seiner 1864
veröffentlichten Druckschrift >>Betrachtung zur Regulierung der Elster bei
Leipzig<< verlangte er grundsätzliche Änderungen der gesetzlichen Regelungen für
Wasserbaumaßnahmen – und formulierte dabei Grundsätze des
Wirtschaftsliberalismus. >>Das Gesetz<<, schrieb Heine, >>tritt der
Privatindustrie geradezu hemmend entgegen. Statt dass Regierungstechniker mit
den Mitteln des Staates oder der Gemeinde oder für die den Grundbesitzern zur
Last fallenden Kosten großartige und schöne Pläne anfertigen, die mehr auf das
Auge als auf wirklichen Nutzen berechnet sind, sollte es besser den Eigentümern
überlassen werden, einfache und billige Lösungen anzuwenden. Denn der Private
müsse sich nach den vorhandenen Mitteln richten und sich deshalb bestreben, für
möglichst wenig Geld etwas Gutes zu schaffen.<<
Der 45jährige Heine erlebte einen Triumph seiner Arbeit, als 1864 die
Herstellung der schiffbaren Fluss- und Kanalstrecke vom Floßplatz in Leipzig bis
über die Zschochersche Straße in Plagwitz hinaus und die Eröffnung seiner ersten
großen Steinbrücke über den Kanal gefeiert werden konnten. Die Einweihung wurde
wie ein Volksfest mit Dampferfahrt auf dem Kanal, Bewirtung, Ansprachen und
Musik begangen. Sachsens König Johann war zur Einweihung der Kanalbrücke
gekommen und gestattete, ihr seinen Namen zu geben. Für Heine bedeutete die
Fertigstellung des ersten Kanalabschnittes zugleich den Auftakt zur Erschließung
der westlich des Dorfes gelegenen Areale, auf denen in den 70er und 80er Jahren
das Industriegebiet entstand, in dem der Kanal einst als Transportweg dienen
sollte.
Als angesehener
Leipziger Bürger mit weit reichender Popularität begann der 50jährige Heine in
die Landespolitik einzugreifen. Er kandidierte 1869 für den Landtag und wurde in
die Zweite Kammer gewählt. Da Heine das wirtschaftliche Vorankommen aller
Landesteile Sachsens weitgehend von der Entwicklung der Eisenbahn bestimmt sah,
setzte er sich im Landtag besonders für den Bau weiterer Eisenbahnen ein,
insbesondere für den Bau von Privat- statt Staatsbahnen, für die interessierte
Unternehmer die finanziellen Mittel aufzubringen hätten. In den 70er und 80er
Jahren hat Heine nicht nur engagiert als Abgeordneter gearbeitet –von 1873-77
war er zugleich Reichsabgeordneter- sondern auch für das Wachsen des
Industriereviers westlich des alten Dorfes Plagwitz gesorgt. Heines Planung
sicherten diesem Industriestandort, dass er nicht, wie andere Fabrikgebiete
jener Zeit, chaotisch entstand, sondern eine für die Unternehmen günstige
Infrastruktur mit genügend breiten, gepflasterten und beschleusten Straßen sowie
Anschluss an das Eisenbahnnetz erhielt. Für die erste Bahnverbindung mit
Plagwitz, den Bahnanschluss an die Strecke nach Zeitz, ließ Heine 1872 auf
eigene Kosten eine Eisenbahnbrücke bauen über den Kanal bauen, so dass 1873 das
Fabrikgebiet seinen Bahnhof bekam.
Dies gab der
Ansiedlung weiterer Fabriken umso mehr Auftrieb, als Heine sofort begann, ein
privates Gleissystem anzulegen, das den Bahnhof mit den einzelnen Fabriken
verband und so den Transport beschleunigte und verbilligte. Die
Landmaschinenfabrik Rudolf Sack (seit 1867/68) und die Gießerei von Meier &
Weichelt (seit 1871) bekamen Fabrikgleise ebenso wie die hinzukommenden
Maschinenfabriken der Gebr. Brehmer, Fuchs & Kunad (beide seit 1879), die
Kammgarnspinnerei von Eduard Stöhr (seit 1880), die Leipziger Baumwollspinnerei
(seit 1886) und andere Unternehmen mit wachsender wirtschaftlicher Bedeutung und
zunehmenden Beschäftigtenzahlen.
Heines Industriegleise und sein Transportkontor brachten eine Rationalisierung
des Güterverkehrs. Das Transportkontor übernahm für die Betriebe alle
Dienstleistungen, die für den An- und Abtransport der Waggons zwischen Fabriken
und Bahnhof, für den Versand und Empfang von Gütern per Bahn einschließlich der
Bezahlung der Frachten erforderlich waren. Die Industriegleise wurden jeweils
zwischen zwei parallel laufenden Straßen verlegt, so dass sie die Rückseiten der
Fabrikgelände erreichten und nach Bedarf in die Fabrikgrundstücke, teils bis in
die Werkhallen weitergeführt wurden. Bereits im ersten Jahr nach Eröffnung des
Bahnhofes in Plagwitz erschlossen 1900 Meter Industriegleise für 37 Fabriken den
auf diese Weise äußerst vereinfachten Bahntransport. Als Plagwitz 1879 mittels
eines Gleises nach Gaschwitz Anschluss an die Sächsische Staatsbahn erhielt,
womit sich Transportstrecken verkürzten und Frachten verbilligten, ließ Heine
das System der Industriegleise erweitern und zudem 1879, 1880 und 1886 drei
öffentliche Ladestellen schaffen, damit auch Betriebe, die keinen Gleisanschluss
besaßen, die Vorteile nutzen konnten. Der Betriebsdirektor der sächsischen
Staatseisenbahnen zu Leipzig, Freiherr von Oer, hatte den Gedanken, durch
Gleisanlagen Fabriken und Bahnhöfe direkt zu verbinden, als eine der neuen und
bedeutenden, schöpferischen Ideen Heines gewürdigt, denen das
Plagwitz-Lindenauer Industriegebiet seine Entstehung verdankte.
Die 1871
ermittelten Zahlen für Beschäftigte und Angehörige in Plagwitz zeigen deutlich,
dass in der Sozialstruktur für die Landwirtschaft kaum noch Platz war: Von den
2531 erfassten Personen waren nur noch 45 der Land- und Forstwirtschaft bzw.
Gärtnereien aber 1382 Personen der Branche Hüttenwesen, Industrie und Bauwesen
zuzuordnen.
Zahlreiche
Betriebe entstanden in rascher Folge: Genannt seien die 1869 von Ernst Mey
gegründete Papierwäschefabrik in der Elsterstraße (heute Ernst-Mey-Straße), die
1875 von Tittel & Krüger errichtete Dampffärberei für Wollgarn in der
Nonnenstraße, aus der 1887 die Sächsische Wollgarnfabrik – vormals Tittel &
Krüger Aktiengesellschaft- hervorging, sowie die 1880 an der Elisabethallee
angesiedelte Kammgarnspinnerei Stöhr & Co. Bald reichten die Flächen um die
Nonnenstraße Elisabethallee nicht mehr aus, und es begann die
Industrieansiedlung zwischen Kanal und westlicher Flurgrenze. Hier breitete sich
vor allem die Metallindustrie aus. 1867 kaufte Sack das erste Grundstück an der
Neuen (heute Karl-Heine-Straße) Straße in Höhe des geplanten Kanals, das in den
folgenden Jahren bebaut wurde. 1874 erfolgte die Gründung der Firma Meier &
Weichelt in der Gießerstraße, die nach Kundenmodellen Graugussteile für
Maschinenfabriken herstellte. 1879 wurde die Firma Gebr. Brehmer zur Herstellung
von Buchbindereimaschinen gegründet und 1888 die Maschinenfabrik Swiderski aus
der im Leipziger Osten gelegenen Thalstraße an die Zschochersche Straße verlegt.
1897 vollzog die Firma Unruh & Liebig, die Hebezeuge und Anlagen des
maschinellen Transportwesens produzierte, die Neuerrichtung ihres Werkes in
Plagwitz. Die Fabrik beschäftigte auf ihrem 5000 qm großen Grundstück 118 Beamte
und Arbeiter.
Für einige Betriebe kam es um die Jahrhundertwende bereits zu Raumproblemen in
Plagwitz, so dass Erweiterungen in anderen Vororten erfolgten. Auch die
landwirtschaftliche Versuchsstation der Firma Rudolf Sack musste auf Feldern in
Kleinzschocher errichtet werden.
Im Zuge des Ansässigwerdens der Fabriken in Plagwitz hat der Fabrik- und
Industriebau selbst mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen, mit denen sich
Baumaterial sowie Gebäudekonstruktion und –gestaltung änderten und den
Erfordernissen der industriellen Produktion Rechnung getragen wurde. Die ersten
Fabrikgebäude entstanden als Holzfachwerkbauten, orientiert an Stall- und
Scheunenbauten, meist anspruchslose Bauwerke. Es folgten massive Gebäude,
vorwiegend aus roten Backsteinen, die unverputzt blieben, und mit Fenstern nach
Wohnhausart. Großes Gewicht wurde auf die Gestaltung der Fabrikschornsteine als
weithin sichtbares Zeichen damals technologisch moderner Produktion gelegt. Die
Fabrikfassaden schmückten kunstvolle Maueranker und Bauornamente , wie z.B. am
Gebäude der Sächsischen Wollgarnfabrik in der Nonnenstraße. Bei anderen
Fabrikgebäuden dienten verschiedenfarbig glasierte Steine zur Belebung der
Fassaden, und es entstanden Schmuckgiebel mit dem Firmennamen, wie bei der
Maschinenfabrik von Unruh & Liebig in der Naumburger Straße. Die Bauprobleme der
wachsenden Industrie, die zunehmend größere Produktionsflächen benötigte, löste
endgültig der Stahlbau, der sich in Plagwitz in den ersten Jahren nach 1900
durchzusetzen begann. Mit ihm wurden mehrgeschossige Gebäude mit großen
Arbeitssälen und zugleich hohen Deckenlasten realisierbar und zudem größere
Fensterflächen für die sich verfeinernden Produktionsgänge, die mehr Tageslicht
verlangten. Die Maschinenfabrik der Gebr. Brehmer in der Karl-Heine-Straße ist
ein Beispiel; es entstanden eine Reihe ansehnlicher, architektonisch bedeutender
Industriebauten. Meist versah man die Sichtflächen der Stahlbetonbauten mit
braunroten Klinkern, so dass die braunroten Fabrikgebäude für Plagwitz
charakteristisch wurden.
In den 1880er Jahren war Plagwitz bereits eine in vielen Ländern der Welt
bekannte Adresse –als Herkunftsort damals moderner und zuverlässiger
Industrieerzeugnisse, für die ein wachsender Bedarf entstanden war. Die mit dem
Industriezeitalter verbundene Notwendigkeit Erweiterung von Wissen und Bildung
verlangte Massenauflagen z.B. von Schul- und Lehrbüchern; die Zunahme des
Geschäftsbetriebes in Handel, Gewerbe und Industrie erforderte Geschäftsbücher,
Formulare u.a. in großen Stückzahlen. Das wiederum ließ Buchdruck- und
Buchbindermaschinen erforderlich werden. Die Draht- und Fadenheftmaschinen der
Firma Gebr. Brehmer ermöglichten, was in der handwerklichen Buchbindereiarbeit
nicht zuschaffen war: in kurzer Zeit Bücher in hohen Stückzahlen buchbinderisch
herzustellen. Bereits die erste Vorstellung einer Brehmerschen Drahtmaschine auf
der Ausstellung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 1879 in Leipzig war
eine Sensation. Wenige Jahre danach (1884) entwickelte Hugo Brehmer auch eine
zuverlässige Maschine für das Fadenheften, die Schiffchen-Faden-Buchheftmaschine
und besaß damit ebenfalls auf diesem Gebiet Vorrangstellung. Es brauchte nur
kurze Zeit, bis sich die Verlags- und Geschäftsbücherdruckereinen in zahlreichen
Ländern mit den leistungsfähigen Brehmerschen Maschinen ausgerüstet hatten. Dank
fortwährender Innovationen und Qualitätsarbeit konnte das Unternehmen, wie der
Leipziger polygraphische Maschinenbau überhaupt, die technologische
Spitzenstellung auf seinem Spezialgebiet bis zum Zweiten Weltkrieg halten. Wie
in der Firma Brehmer leisteten Konstrukteure, Ingenieure und Facharbeiter in
einer ganzen Reihe von Plagwitzer Unternehmen Herausragendes und standen
jahrzehntelang an der Weltspitze des technologischen Fortschritts. Es fällt
schwer, aus der Fülle dieser Leistungen eine Auswahl zu treffen. Rudolf Sack
konstruierte und produzierte in dieser Zeit, in der Bevölkerungszahlen vieler
Länder schnell anstiegen, Lebensmittel in zunehmenden Umfang benötigt wurden und
die landarbeitende Bevölkerung (relativ) abnahm, landwirtschaftliche
Bodenbearbeitungs- und Erntemaschinen, mit denen die Feld- und Stallarbeiten
mechanisiert und produktiver werden konnte. Das sicherte dem Unternehmen Exporte
in zahlreiche Länder der Welt, nach Rußland ebenso wie nach Staaten in Amerika
und Asien. Der ideenreiche Ingenieur Ernst Jaeger erfand eine
Pumpenkonstruktion, die eine größere Leistungskraft ergab, als sie die bis dahin
gebräuchlichen Pumpen besaßen. Er setzte sie attraktiv in Szene: Eine
abwechselnd mehrfarbig beleuchtende Fontäne aus 55 Wasserstrahlen war ein
Anziehungspunkt auf der Industrieausstellung 1897, die zahlreiche
Spitzenprodukte der Plagwitzer Industrie zeigte.
In
zeitgenössischen Berichten wurde sehr zufrieden vermerkt, dass sie Jaegerschen
Pumpen den Stahl der Leipziger Fontäne höher steigen ließen, als es andere
Fabrikate auf der vorherigen Berliner Ausstellung vermochten. Jaegers
Kreiskolbenkonstruktion, später Jaegersche Turbinenpumpen, Jaegersche Gebläse,
Turbinenluftpumpen, Turbinenkompressoren, Turbinengebläse für Luft und Gas –das
waren Aggregate hoher Leistungskraft, wie sie z.B. die Wasserwerke der
wachsenden Städte und ebenso die Chemieindustrie und andere Industriezweige,
darunter auch der Schiffbau, brauchten. So war z.B. der vor dem ersten Weltkrieg
modernste Passagierdampfer, die >>Bremen<<, mit Jaegerschen Kesselspeisepumpen
ausgerüstet. Aus diesem Großbetrieb, der technologisch bis zum Zweiten Weltkrieg
an der Weltspitze lag, ist die heutige Pumpen- und Gebläsewerk GmbH
hervorgegangen, die sich in der Marktwirtschaft behauptet. Krane sowie viele
Arten von Verlade- und Transportanlagen, insbesondere für Schüttgüter wie
Getreide, Kies, Kohlen u.a., schuf das Maschinenunternehmen Unruh & Liebig in
Plagwitz, ein Vorgängerbetrieb der heutigen KIROW Leipziger Rail & Port AG, die
Eisenbahnkrane, Anlagen für die Verladung von Containern in Seehäfen sowie auf
Ladeplätzen der Eisenbahn, Fahrzeuge für Schwerlasttransporte in Werften und
Hüttenbetrieben und andere moderne Transportgeräte baut. Unruh & Liebig
seinerzeit rüsteten mit ihren Anlagen in aller Welt Getreidesilos aus, bauten
Hafen- und Kaianlagen mit Kranen, Förderbrücken und –bändern und anderes mehr.
Die Plagwitzer Firma Kießling & Co. stellte Holzbearbeitungsmaschinen her,
plante selbst sowie mit ihren Ingenieurbüros in zahlreichen europäischen und
außer europäischen Großstädten, z.B. in London und Paris, Rotterdam und Mailand,
Rio de Janeiro, Buenos Aires und Mexiko Sägewerke, Zimmerei- und
Tischlerunternehmen und stattete sie mit ihren Maschinen aus. Schelter &
Giesecke baute in Plagwitz Buchdruckmaschinen, hatte insbesondere Erfolg mit den
Tiegel-Druckpressen >>Phönix<< und >>Viktoria<<, die ab 1896 in großen
Stückzahlen gebaut wurden.
Doch nicht nur
der Plagwitzer Maschinenbau errang Positionen auf den bedeutendsten Märkten,
auch beispielsweise die Wollgarnfabrik Tittel & Krüger sowie die Produktion von
Spitzen für Bekleidung in Plagwitz und Lindenau. Die Firma Mey & Edlich begann
1871 mit der Herstellung von pflegeleichter Wäsche und begründete zugleich den
heute so verbreiteten Versandhandel. Schon 1895 konnte man Mey & Edlich nach
illustrierten Katalogen Wäsche und Oberbekleidung für Damen, Herren und Kinder,
auch Pelz- und Gummimäntel, Teppiche, Lederwaren, Schmuck, auch Lebens- und
Genussmittel wie Kaffe, Kakao, Schokolade, Weine und Liköre bestellen. Der
Katalog bot ca. 1600 Positionen an.
Das die Plagwitzer Industrie in wenigen Jahrzehnten eine so herausragende
Stellung erlangen konnte, hat eine Reihe von Gründen. Leipzig, durch die Messen
kaufmännisch und durch seine frühzeitig entstandenen Eisenbahnverbindungen
verkehrsmäßig mit der Welt günstig verbunden, und das von Karl Heine
aufgeschlossene Gelände mit seiner auf die Industrieentwicklung zugeschnittene
Infrastruktur bot beste Bedingungen. Entscheidend dürfte jedoch gewesen sein,
dass die kreativen Plagwitzer Unternehmer es verstanden, schnell Neues zu
schaffen –auf der Grundlage von Anregungen, Erkenntnissen und Erfahrungen, die
sie im Kopf oder auf dem Papier aus den früher fortgeschrittenen
Industrieländern, vor allem England und Frankreich, mitgebracht hatten. Die
Brüder Brehmer hatten ihre ersten Patente in den USA geschaffen, Ernst Mey
Patente aus Paris nach Plagwitz mitgebracht, Rudolf Sack war bereits 1857 in
England gewesen und hatte dort Ausrüstung und Organisation von Maschinenfabriken
kennen gelernt, die 1. Deutsche Spitzenfabrik setzte Facharbeiter aus England
zum Anlernen einheimischer Arbeiter ein usw. usf. Plagwitz hat viel von der
Industrie anderer Länder empfangen, dann aber der Welt auch reichlich gegeben.
Die extensive Industrie schuf mehr Arbeitsplätze und so wuchs die
Bevölkerungszahl in Plagwitz rasch. Während die Leipziger Altstadt innerhalb des
Promenadenrings sich zur City, einem ansprechenden Bank-, Büro- und
Geschäftsviertel entwickelte und die Wohnbevölkerung hier zahlenmäßig stark
zurück ging, nahm sie in Plagwitz zu, von den 1870er Jahren an sogar sprunghaft:
Einwohner |
1834 |
1871 |
1890 |
1910 |
Alt-Leipzig |
20930 |
25125 |
? |
12319 |
Plagwitz |
187 |
2531 |
13045 |
19510 |
Von den
Arbeitsmöglichkeiten in den Fabriken angezogen, kamen meist junge Männer und
Frauen nach Plagwitz, das ein kinderreicher Ort wurde. Schon früh entstand ein
Kindergarten, und die kirchliche Sozialarbeit schuf zum Beispiel das >>Heim für
allein stehende Frauen und Mädchen<<. Hatte bis zum Ende der 1860er Jahren die
lockere Wohnbebauung um die alte Ortslage für den Zuwachs an Einwohnern im
westendlichen ausgereicht, entstand nach dieser Zeit eine drückende Wohnungsnot.
Sie trug zum einen dazu bei, dass die Untervermietung nicht nur von Wohnräumen
(die Wohnungen waren ohnehin überbelegt) um sich griff, sondern mehr noch das
Vermieten von Betten lediglich zum Stundenweisen Schlafen in Wohnungen von
Familien und Einzelpersonen. >>Schlafleute<< ebenso wie Bettenvermieter gehörten
meist zu den ärmsten Schichten der Bevölkerung, die auf diese Weise ihr
Einkommen zu strecken versuchten. Das >>Schlafleuteproblem<<, ein sozialer
Notstand ohnegleichen, erhielt sich trotz umfangreichen Wohnungsbaues über
Jahrzehnte. Schnellhochgezogene drei- bis viergeschossige Mietshäuser für
einfachste Wohnbedürfnisse entstanden besonders zwischen der die Zschocherschen
Straße und dem Kanal an der Weißenfelser, Lauchstädter und Ziegelstraße. Sogar
in den engen Hinterhöfen fanden noch einige Kleingewerbetreibende ihren Platz.
Die Massierung der Arbeiter in diesen Wohnquartieren brachte zwar kurze
Arbeitswege zu den Fabriken mit sich, schuf zugleich aber nicht nur beengte,
sondern wegen der benachbarten Fabriken mit Rauch und Staub auch höchst
ungesunde Wohnverhältnisse. In der Nonnenstraße wie in der Bahnhofsgegend lagen
Wohnhäuser und Fabriken sogar gemischt. Die Fabrikherren, die –wie z.B. Rudolf
Sack- anfangs Wohnhäuser auf ihren Fabrikgeländen errichtet hatten, bezogen nach
und nach geräumige und komfortable Villen mit prächtigen Gärten und Parks vor
allem zwischen der Karl-Heine-Straße und der Luppe. In dieser Gegend lebte und
arbeitete auch der Bildhauer, Maler und Graphiker Max Klinger (1857-1920). Seine
Werkstatt bildete zunächst ein Maschinenschuppen der Firma Schumann & Koeppe an
der Karl-Heine-Straße, später (1896) bezog er ein eigenes Atelier in der
Karl-Heine-Straße 6. Hier entstand Klingers wohl bekanntestes bildhauerisches
Werk –die Beethoven-Plastik. Im Zusammenhang mit der vollständigen Erschließung
des Areals von Plagwitz wurde der Ausbau der Infrastruktur im wesentlichen bis
1890 abgeschlossen.
1883/84 wurde das Plagwitzer Rathaus (Architekten Pfeifer und Händel) erbaut,
und der Ort erhielt ein kaiserliches Post- und Telegrafenamt , das 1889 ein
eigenes Gebäude bezog. 1885 entstand an der Ziegelstraße (heute:
Walter-Heinze-Straße) ein Kranken- und Armenhaus sowie ein Spritzenhaus. 1886-88
wurde an der Elisabethallee die Heilandskirche in Backsteinarchitektur mit einem
85 Meter hohen Turm (Architekt Prof. Joh. Otzen, Berlin) errichtet. Alles dies
prägte den alten Ortskern städtisch jedoch konnte dieser, schon aus
Platzgründen, mehr jedoch der Zweckmäßigkeit wegen, dem gesamten Umfang der
Erfordernisse der städtischen Entwicklung nicht gerecht werden. Der Bahnhof
wurde weitab vom Ortskern am Rande des Fabrikareals zwischen Plagwitz, Lindenau
und Kleinzschocher angelegt, weshalb sich auch die breite Verbindungsallee
zwischen Ortskern und Bahnhof, die Karl-Heine-Straße, ebenso wie die
Zschochersche Straße zu wichtigen Geschäftsstraßen ausbildeten. Das Plagwitzer
Gebiet wurde schon damals so vollständig von Fabriken und Wohnquartieren in
Anspruch genommen, dass der Plagwitzer Friedhof auf Kleinzschocherscher Flur
eingerichtet werden musste. Auch für Kasernen war im Ort kein Platz. Als
Plagwitz 1893 ein Bataillon der sächsischen Armee als Einquartierung auf Jahre
hinaus bekam, wurde es in einem privaten Gebäude in der Nonnenstraße
untergebracht.
Plagwitz gewann
als Industrie- und Arbeitsort zunehmend städtischen Charakter. Geselligkeit fand
in Vereinen statt. Als Vergnügungs- und Tanzhäuser wurden 1874 das
>>Lindenfels<< und 1890 der neue >>Felsenkeller<< (Architekten Schmidt und
Johlige) eröffnet. Das >>Lindenfels<< war später auch Kino. Der Naherholung
diente die Kanalzone mit ihrem üppigen Grün – der Kanal war auch ein
Angelgewässer – und ebenso das ausgedehnte benachbarte Auengebiet. Später
bereicherte der heute nicht mehr existierende >>Palmengarten<< (am östlichen
Ortsrand) mit Gesellschaftshaus, Parkanlagen und Gondelteich die Möglichkeiten.
Theater, Orchester und andere damals elitäre Kultureinrichtungen fanden in
Plagwitz keinen Platz; dazu war die Stadt Leipzig als ein Zentrum der Kultur zu
nah. Ähnliches galt für die Wissenschaft einschließlich der medizinischen
Versorgung in Kliniken und Krankenhäusern, die in Leipzig konzentriert blieb.
Karl Heine hat im Zusammenwirken wie in der Auseinandersetzung der Gemeinde, der
Stadt und der sächsischen Regierung auf das industrielle und städtische Wachsen
des Ortes Plagwitz vielfältigen Einfluss genommen. Die Fabrikansiedlung brachte
der Gemeinde gute Straßen und beträchtliche Steuereinnahmen. Von allen
Vorstadtdörfern hatte Plagwitz die höchsten Einnahmen aus Gemeindesteuern und
anderen Abgaben. Heine vermittelte auch die Verkehrsbindung nach Leipzig,
zunächst mittels Pferde-Omnibus und ab 1872 mit der Pferdebahn.
Heine erwies sich nach dem Zeugnis des Lindenauer Schuldirektors Pache, einem
Zeitgenossen Heines, als >>allen gemeinnützigen Unternehmungen ein wohlwollender
und opferwilliger Berater<<. Gemeinsam mit dem Turnenthusiasten Ferdinand Goetz,
der seit 1855 als Arzt in Lindenau wohnte und arbeitete, hatte Heine über lange
Zeit bei der Bewältigung kommunaler Probleme geholfen. Gemeinsam gründeten sie
im Laufe von etwa 20 Jahren einen Bürgerverein zur Besprechung öffentlicher
Angelegenheiten, einen Gewerbeverein, Vorschussverein, Frauenverein,
Kinderbewahranstalten und andere Wohlfahrtseinrichtungen.
Karl Heine sorgte dafür, dass sein Werk auch ohne ihn weitergeführt werden
konnte. 1885 verkaufte er die Industriegleisanlagen und den Transportbetrieb an
die Staatsbahn, womit er sich von jeglichem finanziellen Druck befreite. Schon
erkrankt, betrieb er die Gründung einer Familien-Aktiengesellschaft, die als
Westend-Baugesellschaft im Mai 1888 zustande kam. Drei Monate später, am 25.
August 1888, starb Heine in seinem 69. Lebensjahr. Sein Begräbnis wurde zu einer
Würdigung seiner großartigen Leistungen und zum Zeugnis seiner Volkstümlichkeit.
10 Jahre nach seinem Tode wurde ihm ein Denkmal gesetzt, von dem heute nur noch
der Sockel mit Heines Namen existiert.
Plagwitz als Stadtteil von Leipzig
Industrialisierung des Leipziger Westens, Bau von Straßen, ebenso 14 Straßen-
und Eisenbahnbrücken zwischen der Elster und der Lützener Straße sowie
zahlreicher Gebäude – das war die Bilanz im Todesjahr Heines 1888. Plagwitz (und
die angrenzenden Gebiete) waren bevorzugte Standorte von 105 Industriegebieten
mit 5887 Beschäftigten; auch international renommierte Konstruktionsbüros mit
namhaften Erfindern und Konstrukteuren waren in Plagwitz tätig. 1895 standen im
Raum Plagwitz/Lindenau 27,4% der Leipziger Metallverarbeitung und des
Maschinenbaus sowie 34 % der Textilindustrie.
1893 war die bebaute Fläche von Plagwitz und Lindenau größer als die
Alt-Leipzigs innerhalb des Ringes. Längst hatte Plagwitz seinen Charakter als
Landegemeinde verloren. Plagwitz nahm den Charakter einer Stadt an. Auch um dem
vorzubeugen, vor allem aber wegen der wechselseitigen Verflechtungen und
Abhängigkeiten wurde Plagwitz zum 1. Januar 1891 nach Leipzig eingemeindet. Die
Region war auch rechtlich zur Stadt geworden. Plagwitz stellte nun noch direkter
ein bedeutendes Potential Leipzigs dar. Die Durchführung der
Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung zu Leipzig im Jahre
1897 und deren Präsentation gewissermaßen vor Plagwitz war zweifellos eine
Referenz an den Ruf und das Potential des nunmehrigen Leipziger Stadtteils.
Den weiteren
Ausbau von Plagwitz setzte die >>Leipziger Westend-Gesellschaft<< fort. Sie
übernahm u.a. die weitere Erschließung von Straßen, Gelände für Fabrikbauten und
den Weiterbau des Elster -Saale - Kanals. Er durchzieht, unvollständig
geblieben, heute auf 2,5 Kilometer Plagwitz und Lindenau.
Auch der
infrastrukturelle Ausbau ging weiter. 1910 entstand z.B. das Gebäude des
Unterwerks West der Städtischen Elektrizitätswerke in der Lauchstädter Straße.
Die Elektrifizierung führte mit der Anwendung von Motoren, die sich auch
Handwerks- und kleine Industriebetriebe leisten konnten, zu einem qualitativen
Industrialisierungsschub. Es erfolgte aber wegen des Platzmangels keine
wesentlichen Ausweitungen des Industriestandortes mehr. Zudem befand sich die
Industrie infolge ihrer äußerst empfindlichen Struktur (differenzierte,
exportabhängige Maschinenbau- und Verarbeitungsbetriebe) in einer schwierigen
Lage. Einzelne Wohnhäuser kamen, vom Jugendstil geprägt, hinzu, ebenso das
Warenhaus an der Josephstraße.
In Plagwitz Beschäftigte suchten mehr und mehr, auch wegen der zunehmenden
Umweltbelastungen durch die Industrie vor allem mit Rauch und Lärm, Wohnungen in
den benachbarten Stadtteilen Kleinzschocher, Lindenau und Schleußig. Deren
Gebiete besaßen zusammen mehr als die 12fache Fläche von Plagwitz. Während hier
der Wohnungsbau nur langsam vorankam (von 1890 bis 1910 rund 1700 Wohnungen
Zuwachs), geschah dies in den genannten Nachbarbezirken bedeutend schneller,
wobei in Schleußig die nach dem damaligen Stande am modernsten ausgestattete
Wohnungen gebaut wurden. In Plagwitz blieb trotz des Anteils der komfortablen
Villen sowie der großen und besser ausgestatteten Wohnungen in den nach der
Jahrhundertwende gebauten Wohnhäusern die Wohnungsausstattung auch im
statistischen Durchschnitt hinter den hygienischen Notwendigkeiten und baulichen
Möglichkeiten weit zurück. Für die Mehrzahl der Plagwitzer Wohnungen gab es
nahezu keinen Umbau und keine Modernisierung. 1910 dienten immer noch in zwei
Dritteln der Plagwitzer Wohnungen zur Beleuchtung Petroleumlampen oder Kerzen.
Gasbeleuchtung war, anders als in anderen Stadtbezirken, noch nicht zur Norm
geworden, und hinsichtlich elektrischer Beleuchtung stand Plagwitz erst am
Anfang. Nur in einem Siebentel der Wohnungen gab es Bademöglichkeiten und
Toiletten in der Wohnung. Die Regel waren Toiletten im Treppenhaus, und bei mehr
als einem Drittel der Wohnungen existierte eine gemeinsame Toilette für mehrere
Wohnungen. Erst ein Fünftel der Wohnungen besaß Toiletten mit Wasserspülung.
Wengleich die Wohndichte etwas geringer geworden war, hatten sich die Qualität
der Mehrzahl der Wohnungen und das Wohnen generell nicht verbessert.
Plagwitz’ Charakter in seiner Blütezeit wurde von der Industrie geprägt - von
allem, was die Industrie brauchte, um erfolgreich zu sein.
In den 20er, 30er und 40er Jahren war der Zuwachs an Wohn- und Gewerbeflächen in
Plagwitz nur noch gering. Die Entwicklungsmöglichkeiten waren praktisch
ausgeschöpft. Hervorhebenswert ist dennoch der Neubau einiger Industriekomplexe
und öffentlicher Gebäude. 1927-29 entstand nach Plänen von Hubert Ritter und
Fritz Baumeister die Max-Klinger-Realschule (spätere Pädagogische Hochschule).
Beide hatten bereits das 1925/26 errichtete Westbad im benachbarten Lindenau
geplant. 1929 wurde die Städtische Bücherhalle nach Plänen von Otto Fischbeck
und 1929-32 das Konsumgebäude in der Industriestraße nach den Entwürfen von
Fritz Höger errichtet. Alle diese Gebäude fühlten sich dem Stil des Neuen Bauens
verpflichtet. Sie zählen noch heute zu den bedeutendsten Baudenkmalen der
Region.
Heines Vision einer schiffbaren Verbindung zwischen Leipzig und der Nordsee
schien in den 30er Jahren zunächst wieder realisierbar. Unter dem Einsatz von
2000 vorwiegend arbeitslosen begannen am 11.Juli 1933 die Bauarbeiten am
Elster-Saale- Kanal bei Burghausen. Der Baubeginn für den Hafen auf Schönauer
und Lindauer Flur erfolgte Ende 1937. Zu diesem Zeitpunkt spielte der bereits
bestehende Kanalabschnitt in Plagwitz keine Rolle mehr für das Gesamtprojekt.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden die Arbeiten an Kanal und Hafen
jedoch stark eingeschränkt und 1942 gänzlich eingestellt.
Seit der Machtübernahme durch das Hitlerregime begannen bald die
Kriegsvorbereitungen. Das damit verbundene Rüstungsprogramm sicherte auch den
meisten Plagwitzer Unternehmern, selbst denen der Textilindustrie, deren Firmen
durch die Langandauernde Wirtschaftskrise deutlich gekennzeichnet waren,
langfristige Aufträge. Bei der Firma Sack setzte bereits 1934 die geheim
haltende Produktion von MG-Wagen und anderem Kriegsmaterialien ein. Der
Jahresumsatz der Firma Schuhmann & Co. stieg beispielsweise von 1937 dis 1943
infolge der Herstellung von U-Boot-Armaturen auf das 5fache an. Diese
Scheinblüte spiegelte sich in erneut steigenden Arbeitskräftezahlen und in der
flächenmäßigen Erweiterung von Betrieben durch den Bau von Produktionshallen,
z.B. bei Eberspächer & Stöhr, wieder. In mehreren Betrieben wurden im Verlauf
des Krieges Zwangsarbeiter aus mehreren Ländern Europas und Kriegsgefangene
eingesetzt.
Bernd Rüdiger
Planwirtschaft mit Licht und Schatten
Bei Kriegsende
schien Plagwitz noch einmal davongekommen. Zwar gab es Verluste: Kämmerei,
Speisesaalgebäude und Färberei der Fa. Stöhr & Co. sowie die gesamte Bebauung
der Nonnenstraße 12-18 der Fa. Mey & Edlich waren im Dezember 1943 bzw. Februar
1944 vernichtet worden. Markante Plagwitzer Gebäude wie der >>alte
Felsenkeller<<, die >>Westendhallen<< und Max Klingers Atelier lagen in Schutt
und Asche. Aber im Unterschied zum Zentrum und zu anderen Vororten Leipzigs
existierten keine großflächigen Zerstörungen. Verluste an Wohngebäuden waren
gering. So blieb die Hülle eines ganzen Stadtteils fast unversehrt, was einem
Wunder angesichts der dichten Besiedelung und der hier angesiedelten
Rüstungsproduktion gleichkam.
Daraus
resultierten zugleich Probleme beim Übergang zum Frieden.
Schon seit Dezember 1943 wurde Plagwitz mit dem Krieg obdachlosgewordener
vollgestopft; der >>neue Felsenkeller<< diente mehrere Jahre als Auffanglager
für Flüchtlinge bzw. Umsiedler, die dringend ein neues Zuhause benötigten. All
dies verschärfte die latente Wohnungsnot. Es mangelte am Lebensnotwendigsten.
Die ehemalige Villa Sack wurde beim Einmarsch US- amerikanischer Truppen im
April 1945 von Hungernden geplündert. Ganze Straßenzüge mussten sich längere
Zeit auf dem Lindenauer Markt Wasser besorgen.
Die meisten Betriebe sahen einer ungewissen Zukunft entgegen. Diejenigen, die
der Rüstung gedient bzw. aktiven Nazis gehört hatten, so die von Rud. Sack und
C.H. Jaeger & Co., wurden nach dem Abzug der US-Truppen durch die SMAD
beschlagnahmt und vorläufig mittels deutscher Treuhänder verwaltet. Mit den von
der SMAD angedrohten Demontagen gingen viele Arbeitsplätze verloren. So zählte
Unruh & Liebig 1947 nur noch 384 Beschäftigte.
Zugleich atmeten
die Menschen bei Ende des Krieges auf; neue Hoffnung erfasste sie. Sie begannen,
Trümmer zu beseitigen, Maschinen zu reparieren und eine Friedensproduktion
vorzubereiten. Bereits am 2.Mai 1945 nahm Jaeger & Co. erneut die Produktion
auf. Ab Mitte Mai 1945 fuhr wieder eine Straßenbahn. Seit dem 28. Mai arbeitete
auch die Firma Rud. Sack. Im Sommer öffnete die von nazistischem Schrifttum
gereinigte >>Volksbücherei West<<, und im August 1946 erfolgte die Neugründung
der nach 1933 aufgelösten Konsum-Genossenschaft Leipzig-Plagwitz.
Der Neubeginn mit seinen ideologisch überhöhten Zielen der Beseitigung der
materiellen und geistigkulturellen Trümmer und des Aufbaus einer
antifaschistisch-demokratischen Ordnung war auch in Plagwitz spürbar mit
schwierigsten Startbedingungen verbunden: Waren in Erwartung der Roten Armee
zwischen April und Juli 1945 Patente, Geld, Rezepturen, wertvolle technische
Ausrüstungen und Spezialisten in die künftigen westlichen Besatzungszonen
abgewandert, so zog die SMAD neben den laufenden Demontagen nach dem
Volksentscheid vom 30.Juni 1946 mit Unruh & Liebig, Jaeger & Co., Schumann &
Co., die bedeutendsten und größten Werke von Plagwitz, als Sowjetische
Aktiengesellschaftsbetriebe voll zur Reparaturleistung heran. Noch in den 40
Jahren erfolgte in großer Eile unter sowjetischem Kommando deren Rekonstruktion.
Der Industrieproduktion war in Plagwitz das ganze Leben untergeordnet. Dies
erfuhr eine hohe, von der Nachkriegssituation bestimmte Dynamik. Viele Menschen
aus ganz Leipzig und umliegenden Dörfern fanden hier wieder Arbeit. In der Folge
stieg die Zahl der Arbeitsplätze enorm, so bei Unruh & Liebig auf 4609 (1952).
Bereits gegen Ende der 40er Jahre war das Arbeitslosenproblem auch der
unzähligen Umsiedler weitgehend gelöst. Das Produktionsvolumen nahm deutlich zu
und wuchs bei Unruh & Liebig von 1946 bis 1953 auf das 21fache. Die SAG-Betriebe
entwickelten sich unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen erneut zu
leistungsfähigen Großunternehmen. Sie waren in vielerlei Beziehung, auch
hinsichtlich der Versorgung der Beschäftigten mit Werkküchenessen,
Ferienplätzen, Polikliniken und Kulturangeboten, deutlich besser gestellt und
besaßen eine hohe Anziehungskraft auf Arbeitssuchende. |